Man braucht ganz schnell ganz viele Hände!

Reportage

Auf der Intensivstation kümmert sich ein interprofessionelles Team um die Patientinnen und Patienten. Welche Aufgaben hat darin die Logopädie?

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Yvonne Fahrni

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Advanced Lecturer

Die Patientin liegt mit einem Schädelhirntrauma auf der Intensivstation. Aufgrund von Komplikationen wird ein Luftröhrenschnitt vorgenommen und es muss beatmet werden. Kommunikation und Schlucken: Geht nicht mehr. Jetzt wird eine Logopädin beigezogen. Zum Europäischen Tag der Logopädie erklären Yvonne Fahrni und Sandra Haubner, worauf es bei der interprofessionellen Zusammenarbeit ankommt.

Ein ganz anderes Feld. Wenn man als Laie «Logopädie» hört, dann denkt man an Schulkinder mit Schwierigkeiten beim Spracherwerb, und nicht an Patient:innen auf der Intensivstation. «Das ist ein ganz anderes Tätigkeitsfeld», erklärt Yvonne Fahrni, Logopädin und HfH-Dozentin. «Auch wenn es auf der Intensivstation ebenfalls um beeinträchtigte Kommunikation geht.» Aber zusätzlich sind auch andere grundlegende Bedürfnisse gestört: Atmen, Schlucken, Essen. «Diese Patient:innen sind schwer krank und werden von verschiedenen Spezialist:innen rund um die Uhr betreut», ergänzt Sandra Haubner, Pflegeexpertin für Spezialgebiete. Deshalb ist die Logopädie eingebunden in ein multiprofessionelles Team. «Die Logopädin ist nie allein im Zimmer mit einer Patientin. Das ist ein weiterer Unterschied zur Therapie in der Schule», sagt Yvonne Fahrni.

Spezialwissen nötig. Bei Intensivpatienten zeigt sich nach einer schweren Operation oft eine reduzierte Wahrnehmung und neuromuskuläre Schwäche. Und wenn die Atmung über eine Kanüle läuft, ergeben sich vielfach sekundäre Komplikationen: Reduzierter Schluckreflex oder Probleme mit dem Speichelmanagement. Die Logopädie arbeitet hier an Basisfunktionen wie Husten, Räuspern, Schlucken. Weil die Luft direkt in die Luftröhre kommt, können diese Patient:innen nicht sprechen. Das kann massive Ängste auslösen. «Ohne Stimme kann man seine Gefühle nicht ausdrücken», sagt Yvonne Fahrni. Deshalb sucht die Logopädin nicht nur alternative Kommunikationswege, sondern muss oft auch psychologische Betreuung leisten – auch bei den Angehörigen der Betroffenen. All das geschieht in enger Kooperation mit Medizin, Pflege und Therapie.

Gemeinsames Ziel. «Diese Interprofessionalität ergibt sich nicht automatisch, die muss man aktiv herstellen», weiss die Pflegeexpertin Sandra Haubner aus ihrer Erfahrung aus dem Akutspital. Es braucht deshalb spezielle Gefässe für Absprachen und die Koordination des Vorgehens. Eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Ziel sind wichtige Gelingensfaktoren. Alle Berufsgruppen müssen einbezogen werden und den gleichen Informationsstand haben. «Aber auch wenn alles geplant ist, kann es auf der Intensivstation immer wieder anders kommen», sagt Haubner. Denn bei Intensivpatient:innen kann immer wieder etwas Unvorhergesehenes passieren. «Da braucht es Flexibilität und vor allem: ganz schnell ganz viele Hände», so Haubner. Wieso dabei der Umgangston auf der Intensivstation für Logopädinnen und Logopäden anfänglich irritierend sein kann, erklären Yvonne Fahrni und Sandra Haubner im nachfolgenden Video-Interview.

Yvonne Fahrni (Logopädin, HfH) und Sandra Haubner (Pflegeexpertin) im Gespräch mit Steff Aellig (Wissenschaftskommunikation, HfH)

Zum Europäischen Tag der Logopädie am 6. März 2023 haben Yvonne Fahrni und Sandra Haubner ihr Wissen und ihre Erfahrungen in einem HfH-Webinar weitergegeben. Dieses Webinar kann in voller Länge auf dem HfH-Youtube-Kanal angeschaut werden. Zum Webinar in voller Länge (via YouTube)

Auch der Deutschschweizer Logopädinnen- und Logopädenverband (DLV) macht zum Tag der Logopädie auf dieses Thema aufmerksam. Dazu hat er einen Film produziert, in welchem die Arbeit der Logopädie auf der Intensivstation aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wird – der Titel: «Logopädie lohnt sich – auch auf der IPS».

Logopädie lohnt sich – auch auf der Intensivpflegestation, Kurzfilm zum Europäischen Tag der Logopädie (2023)

Autoren: Steff Aellig, Dr., und Dominik Gyseler, Dr., HfH-Wissenschaftskommunikation

Hinweis zum Seitenbild: Das Bild wurde der HfH freundlicherweise vom Schweizer Paraplegiker-Zentrum zur Verfügung gestellt.